Monarch


Das kann sich der eine, der abends spät in die Kneipe abgebogen ist, ja noch gar nicht vorstellen, dass er Stunden später, morgens erst, benebelt und wie in eine andere Dimension geworfen, dort wieder heraus kommt. Und der Monarch sagt sich jetzt in dem Augenblick: Ich will spielen, was verdienen. Glück in der Liebe hat er auch, seine Liebe gehört dem Gewinn, dem Fünfer, der scheppernd in die Metallwanne unten fällt. Selten allein. Nicht wie die anderen sich das so wünschen, wie der eine, der jetzt am Tresen sitzt, an den Zapfhähnen. Diffuse Träumereien, lang angestaute Sauereien, Kloaken um Palmeninseln aus jungfräulichem Sand und Goldstrand, durchwirkt von fadenscheinigen Ausreden, getränkt vom Bier und immer nur Bier. Der Monarch aber will sich von seinem Verstand leiten lassen, von seinem Können, dem seines rechten Daumens. Das Talent, das seinen Daumen hat anschwellen lassen, das Daumengelenk, die Daumenhornhaut. Das Glück den Tüchtigen? Es gibt kein besseres Ziel für meine Tüchtigkeit, als die Mint. Dazu brauche ich auch kein Glück mehr. In der Unordnung und dem Rauch und dem Lärm und feuchten Geruch der Kneipe hat sich der Monarch einen ganz eigenen, ganz passablen Arbeitsplatz geschaffen, der genau so wenig offiziell ist wie die zerknitterten Scheine und speckigen Münzen in der Geldkassette des Wirtes. Mint und Monarch, Maschine und Mann haben sich in einem stummen Gespräch geeinigt: er spricht mit dem Automaten, in der impulsiven, herben Sprache seines rechten Daumens auf der großen roten Taste. Er massiert die Mint, er melkt die Mint, er stimuliert den Kasten im genau richtigen Augenblick. Der Monarch denkt gar nicht so sehr ans Spielen, während er das tut. Nein, es geht hier gar nichts so sehr darum, durch den Druck auf einen Knopf ein paar Mark mehr oder weniger aus den Eingeweiden der Mint raus zu holen. Vielleicht später. Im Moment will der Monarch dieses stille Zwiegespräch, diesen leisen Walzer mit der Mint tanzen, wenn sich die Walzen oben hinter den drei Sichtfenstern drehen, wenn Kirschen, halbe Melonen, Zitronen und gelbe Sterne vorüber huschen, viel zu schnell. Es gibt ja auch nichts zu sehen. Für den Monarch nichts und für jeden Außenstehenden noch weniger. Fühlen muss man, die eine Hand an der Taste die andere am blanken Metallrahmen. Spüren, die leichte Unwucht jeder einzelnen der drei sich drehenden Trommeln. Fühlen das Schalten der Relais im peristaltisch zuckenden Bauch der Mint. Spüren die Vibration der Frontscheibe, das Fallen der Münzen. Ihre Zeichen, sie sind so leicht zu lesen wie die Gesichtszüge einer Kneipenfrau, denkt der Monarch und steckt sich noch eine Zigarette an. Ihre Augen sind so klar, ihre stumme Stimme so unverbraucht und ihre Großzügigkeit - so einladend. Gute, treue Seele, denkt der Monarch, zieht an der Zigarette, zieht, und blickt in das reflektierende, zitternde Frontglas; ein Kirchenfenster. Und siehe: Im gelb zündelnden Licht des Münzzählers, der Trinker, am Ende des L-förmigen Tresens. Der mit ihm vor drei Stunden hier reingekommen war. Der inzwischen laut redet, Der jedem, der Ohren hat, zu hören und keine Hände, sie zuzuhalten, seine oder irgendeine Geschichte erzählt. Der jeden am Ärmel zu sich heran zu ziehen versucht, weil der wattig ausgestopfte Alkoholschädel auch ihn zu einem Automaten gemacht hat. Der ab sofort nur Richtiges, nur Stimmiges hervorbringen kann. Der frisch geprägte Worte auswirft wie die Mint Münzen. Worte, deren Reihenfolge mittlerweile so zufällig ist wie die der Heiermänner, die in den blechernen Schoß des Automaten fallen, gerade jetzt wieder scheppert es. Und der Wirt sieht sich das alles an, aus den Augenwinkeln und durch den Rauch und den Krach jenseits der Theke. Und der Wirt weiß nun langsam gar nicht mehr, wer von den drei Vögeln zuerst raus muss, wer jetzt aber mal allmählich entsorgt gehört. Der Trinker, glasige, sich ziellos in alle Richtung bewegende Augen, die Mint mit ihren flackernden Lichtern aus der der Monarch eine Serie nach der anderen holt. Und der Monarch, der Kerl in Anzug und Krawatte - das alles zusammen genommen sind drei und damit mehr als genug Gründe, endlich mal durchzugreifen und den Laden wieder ins richtige Fahrwasser zu bringen, wenigstens heute Abend. Und vor allem die Mint, die verdammte Blechnutte, wieder für sich arbeiten zu lassen. Oder zu entsorgen, wie einen alten Kühlschrank. Allerdings, denkt der Wirt, hat der Bauknecht ihn, den Wirt, nie verraten. Hatte nie gescheppert und geblinkt und wie verrückt gerattert. Hatte nur gebrummt, leise, und geblubbert und gezischt. Mehr nicht. Da war Verlass drauf, auf den Bauknecht mit dem Drei-Sterne-Tiefkühlfach, in dem die Aquavit-Flasche festgefroren ist, allmählich. In einem immer härter und größer werdenden Block aus Graupel und Eis. Das war aber ganz gut mit der Flasche. Denn so hat er sich keinen mehr genehmigen können. Vielleicht anfangs noch, ja. Da genügte es, den Deckel ein bisschen anzudrehen, dann floss das gute Zeug ölig aus der Flasche und er musste nur ein Glas darunter halten. Das ging so lange, bis die Flasche halb leer war, der Pegel zu niedrig und bis also der Schnaps nicht mehr von alleine lief. Er hätte den ganzen Bauknecht leicht vor kippen können, aber der war ja im Tresen fest verschraubt und zementiert und verklebt. Da hätte der Wirt den ganzen Tresen auseinander nehmen müssen, um den Bauknecht zu kippen, um sich einen zu genehmigen. Das war den kurzen Genuss und den warmen Schwips nicht wert. Zu mehr hat er das nämlich nie kommen lassen. Die Disziplin. Die hat ihn auch davon abhalten, einfach den Stecker zu ziehen, das ganze Ding abzutauen, die Flasche raus zu ziehen, zu trinken. Überhaupt jemals mehr zu trinken als er vertragen hätte. Auch das eine Leistung, eine Lebensleitung eigentlich, ohne die er den Laden niemals hätte aufbauen, renovieren, streichen können. Allein, ohne Hilfe von irgendwem. Ohne Hilfe von Niemandem. Mit nichts. Eine dünnes Eis war das, auf dem er sich selbstständig gemacht hat, nach den ganzen Jahren in der Fertigung. Aber es hat sich gelohnt am Ende. Und vielleicht geht es ja noch weiter, vielleicht baut er irgendwann doch noch an, übernimmt den alten Friseurladen nebenan. Und bricht die Wand durch und es gibt Tanz und Livemusik. Pläne für die er schon spart, träume, die ihm Hoffnung geben, den Rauch und die Niedertracht der Menschen die er schon lange nicht mehr „Gäste“ nennt, zu ertragen. Aber die Mint verschenkt hier gerade seine Einnahmen, verrät seine Lebensleistung, , seine Zukunft. Das hier, das war von einem Tag auf den anderen, plötzlich, sein Lebenswerk geworden. Das hatte nämlich keiner für möglich gehalten, wie er die Räume gepachtet hatte. Keiner, auch die Frau nicht, hat geglaubt, dass er das hinbekommt, jeden Tag hinter dem speckigen Tresen. Da standen noch die Aschenbecher drauf, nicht mal mehr geleert vom letzten, der das versucht hat, mit der Eckkneipe die früher mal „Freispiel“ hieß.